Literarische Grundierung


Peter Kurzeck

Zwei Bücher, die zusammengehören. Die große Literatur von Peter Kurzeck, eines der schönsten, besten Bücher, die ich kenne - ein ganz besonderes Sprach- und Lektüreereignis. Und daneben das Buch einer Philosophin mit mehreren Büchern zum Wert der Natur, zu philosophischen Grundlagen sozialer Gerechtigkeit, zu einer Philosophie der Liebe - Inhaberin des Basler Lehrstuhls für Ethik, Angelika Krebs. "Dieses unkonventionelle Buch tritt für die Schönheit der Natur ein" heißt es auf der Rückseite. "Es argumentiert gegen die Dominanz der anthropozentrisch-rechnenden Weltbemeisterung und für eine 'ästhetische Ökozentrik'. Unkonventionell ist das Buch aber auch deshalb, weil es die philosophische Arbeit an Begriff und Argument mit literarischen Passagen von großer Leuchtkraft verbindet. Diese Passagen stammen aus Peter Kurzecks Roman Vorabend. Alle fünf Kapitel: zum Leid der Igel, zur bedrohten Schönheit und Heiligkeit der Natur, zu ihrem Wert als Heimat und zu unserem besinnungslos zerstörerischen Konsum, werden im Ausgang von einer solchen Passage entfaltet. Denn es braucht die Literatur in der Naturethik."

Peter Kurzecks magisch sensible Weltwahrnehmung als Seismograph der umfassenden Veränderungen und Zerstörungen von Natur und Mensch durch den Menschen.   

 

Mit Peter Kurzeck in Schloss Wiepersdorf/Brandenburg am 16.11.2003.

Peter Kurzeck starb am 25.11.2013

 

 

 

 

"Die Zukunft von damals, die hätten wir gern!"

Aus Peter Kurzecks Roman von 1985: "Kein Frühling"

"Alles würde letztlich wie ein Naturgesetz in das eine einzige ewige Buch münden, in dem ich das Weltall aufzeichne, für die Ewigkeit! Alles in Lebensgröße; Faksimiledruck, zusätzlich alle Details unter der Lupe. Die Zeit, jeder Augenblick im Fluß und zur Ewigkeit erstarrt. Alles von allen Seiten, aus allen Perspektiven und in jeder Beleuchtung. Kein Augenblick, kein Ton, keine Farbe, nicht die geringste Unebenheit, kein Hauch, nicht Grashalm noch Sandkorn würden je verloren sein! Dazu alle Wege, die ich ging, alle Vergangenheiten und Zukünfte und die ewige Zeit Gegenwart, in der ich es schreibe. Alles allgegenwärtig! Erst damit wäre die Schöpfung vollendet und das Leben könnte endlich beginnen!"

Aus Peter Kurzecks Roman von 1979: "Der Nussbaum gegenüber vom Laden in dem du dein Brot kaufst".


Brigtte Kronauer 1989 in meinem NDR Büro in Hannover

 Die Romane von Brigitte Kronauer sind mir immer eine Offenbarung gewesen. In mehreren Lesungen und Podiumsdiskussionen durfte ich sie persönlich näher kennenlernen - ihr Buch "Zweideutigkeit. Essays und Skizzen", 2002 bei Klett-Cotta erschienen, wie ihre Romane auch, war und ist eines der Bücher, die sich mir eingeschrieben haben: Über die Bedeutung von Ambivalenz für die Qualität von Literatur habe ich nirgendwo mehr gelernt:

"1) Ja: die Schriftsteller sind keine Priester und keine Propheten und sollten lieber solche Selbstüberschätzungsgesten meiden, aber indem Literatur die grundsätzliche Ambivalenz, Glanz und Hinfälligkeit ihrer Gegenstände in Erinnerung bringt, ihren Menschen, Leidenschaften, Ideen, ist sie die beste Arznei gegen drei schwere Plagen: gegen Ideologie, Kitsch, Wissenschaftsgläubigkeit. Ein Trost durch Erkenntnis, nicht durch Betäubung..

2.) Ja: Der andererseits aber kindliche Blick der Literatur auf die Welt, d.h. ihr nicht sozial, pragmatisch, symbolisch vereinnehmender, vielmehr  überwältigend  sinnliche Bedeutung evozierender Blick stemmt sich gegen die Verflüchtigung der Phänomene in den rasenden Geschehensabläufen, gegen Abnutzung und Überalterung unserer Wahrnehmung, sei es einer Wolkenbildung, eines Autoreifens, eines Lächelns, einer Wunde, eines Einzelwesens in einer Masse von Milliarden.

3.) Ja: Anders als etwa die einleuchtenden beliebten Vorabendserien im Fernsehen erzeugt Literatur per Sprache zwar organische, aber nicht den Wirklichkeitsvorstellungen der Gesellschaft parierende Gegenwelten , Alternativmodelle zum hoffnungslos Schein-Authentischen. ....

Es hilft wenig, ein bißchen zurechnungsfähige Literatur und Sprache in einem ansonsten systematisch verblödeten Umfeld zu präsentieren und auch nicht allein, einen ganzen Programmkomplex - gottlob existiert er! - zur Versorgung eineer anspruchvollen Klientel zu installieren, wenn er von einer für die großen tatsächlichen Freuden der Kultur offenbar aufgegebenen Bevölkerungsmehrheit dann aber wie die Pest gemieden wird. Kunst, Literatur, Kultur müssen unverfälscht den potentiellen Interessenten, und die gibt es in allen Schichten, wenn man sie ermutigt und nicht geradezu davon abhält, nahegebracht werden."

Brigitte Kronauer starb am 22. Juli 2019 In Hamburg.


Georg Tabori

Ich freue mich, Ihnen anzuzeigen, dass ich Sonntagnacht starb, wie ich geboren wurde, nur anders herum, in den Armen und Beinen meiner gesegneten Cordelia, mit einem Krampf zurückkehrend in den intimsten aller Familienkreise, steckengeblieben wie ein Hund, aber entstöpselt im Leichenschauhaus, auf dass ich verbrannt werde, eine alte Familientradition, verstreut nicht in Auschwitz, sondern auf irgendeiner passenden Bühne, um keine einzige Vorstellung zu versäumen.

George Tabori - "Memento Mori" aus dem Programmheft seines Stückes "Die Massenmörderin und ihre Freunde" S. 130, Uraufführung am 11.6.1995 im Akademietheater Wien.

 

Der Tod des Vaters und großer Teile der Familie in Auschwitz hat die künstlerische Existenz des Ungarischen Juden neu grundiert. Die großartigen Romane des 30jährigen, in England und in den USA erschienen, beschäftigen sich zwar auch mit der Wahrnehmung des Anderen, des Fremden, mit der Selbstwahrnehmung, mit Erinnerung und Verdrängung, dem Bewußten nund dem Unbewußten, mit Wahrheit und Lüge, Ausgrenzung und Klischeebildung. Aber die jüdische Existenz und vor allem der Holocaust rückten erst später ins Zentrum. "Ich wäre kein Jude, wenn die Deutschen mich nicht daran erinnert hätten", hat Tabori geschrieben. Von FReud stammt der Begriff der Erinnerungsarbeit, bestehend aus den drei Schritten Erinnern, Wiederholen und Durcharbeiten. Damit sind wir mittendrin in der Theaterarbeit Taboris. Viele Stücke sind makabre Totenreigen. Sie kreisen, wenn nicht unmittelbar um die konkrete Vergangenheit, um die ungeheuerlichen, fast zeitlosen Witze des Alltags, die aus dem Humus der Verdrängung auftauchen und stets für eine Katastrophe stehen. "Flucht in den Witz" nannte Tabori im Proustschen Fragebogen der FAZ seinen Hauptcharakterzug. Und wovor er flieht, das hat er in einem ZEIT-Interview gesagt: "Ich fühle mich schuldig als Überlebender den Toten gegenüber." Deshalb dieses fulminante dramatische Werk, in dem er im Freudschen Sinn mit sarkastischem Witzund tabuloser Konkretion menschliches Denken und Handeln hemmungslos in immer neuen Anläufen versucht, das Unsagbare zur Sprache zu bringen. Wem angesichts des allgegenwärtigen Todes nichts Menschliches fremd ist, der schreckt vor keinem Abgrund und vor keiner Peinlichkeit zurück, nicht vor nackten Körpern, nicht vor Behinderten auf der Bühne, "nicht mal vor dem peinlichen Wort: Liebe" (Tabori)

                                                                                                                                                                                                      Wend Kässens

 

 George Tabori, geb. am 24.Mai 1914 in Budapest, starb am 23. Juli 2007 in Berlin.